Weltpolitische Turbulenzen als Thema beim SBi-Treff
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Bildungsinitiative Gau-Algesheim (SBi), Klaus Leibenath, konnte im Karl-Bechert-Haus zum ersten SBi-Treff des Jahres 2017 wieder eine erfreulich hohe Zahl an Mitgliedern begrüßen. Sein besonderer Gruß galt dem Neumitglied Jan Hofmann, der gerne die Gelegenheit wahrnahm, sich persönlich vorzustellen und seine Vorstelllungen als Kandidat für das Amt des Verbandsbürgermeisters zu erläutern.
Nach dem Genuss des von den Gästen selbst mitgebrachten kreativen Imbisses kam Joachim Raczek zu Wort, der in seinem traditionellen politischen Rückblick auf die besonderen weltpolitischen Ereignisse des Jahres 2016. einging, den wir hier im Original wiedergeben:
Liebe SBI-Freunde,
alle Jahresrückblicke haben ja etwas gemeinsam, insofern könnte man sie auch kürzer fassen, etwa in der Art:
- Die Reichen auf dieser Erde werden ständig mehr und werden dabei auch noch reicher
- Die Armen auf dieser Erde werden auch immer mehr, werden dabei aber eher ärmer
- Die Korruption in der Wirtschaft und auch in der Politik ist allgegenwärtig und nimmt ständig zu. Nicht wenige der Verantwortlichen denken in erster Linie an sich und ihr Wohlergehen, weniger an ihren gesellschaftlichen Auftrag. Herrscher-Typen wie Erdogan, Putin, Kim Un u.a., nicht selten aus kleinen Verhältnissen stammend, bauen sich Schlösser, werden Milliardäre – und dem Volk bieten sie das jedoch nicht, ersatzweise dafür aber gnadenlose Strenge, Verfolgung, Gefängnis oder gar Tod…
- Die Kirchen denken immer noch nicht primär an die eigentliche Botschaft, die Jesus einst vorgelebt und gepredigt hat Sie ergehen sich lieber in purer Symbolik und Theater.
- Der Sport, vor allem der Fußball-Sport, ist nun endgültig kapitalistisch geworden. Die Fußballer erhalten gegenwärtig ein Salär, das mit der gebotenen Leistung überhaupt nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Diese Tatsache ist für jeden echten Leistungsträger in unserer Gesellschaft gerade-zu ein Schlag ins Gesicht ist.
- Aus dem « Wir schaffen das! » wurde unterdessen still und heimlich das « Wir schaffen das ab! ». Die Last der Flüchtlingsbetreuung übernehmen derzeit vorwiegend die Griechen.
- Der Kapitalismus wirkt zunehmend ungebremst und feiert Urständ wie noch nie. Seine z.T. zerstörerische Wirkung auf die Umwelt sowie der globale Ressourcen-Verbrauch wird immer deutlicher spürbar. Was am früheren Kapitalismus segensreich war, nämlich neben der Innovation auch die Schaffung vieler Arbeitsplätze und damit bessere Lebensverhältnisse für viele Men-schen, das ist nunmehr im Begriff, gerade ins Gegenteil umzuschlagen. Firmenvorstände, wie z.B. Winterkorn von VW, erhalten auch als Rentner ein Salär, das man kaum nachvollziehen kann. Obwohl in die Abgas-Affäre als Verantwortlicher im Visier und demnächst vor Gericht, bekommt er allmonatlich eine Rente von über 300.000 €, dazu eine sehr kostengünstig an ihn vermietete Villa mit einem Koikarpfen -Teich, dessen Heizung auch noch vom Unternehmen bezahlt wird.
- Bleiben wir noch bei VW: eine Juristin, die dort nach 13 Monaten Beschäftigung aus dem Dienst ausschied, bekam eine Abfindung in Höhe von 18 Mill. €. Damit kann man nahezu 500 VW-Bandarbeiter 1 Jahr lang bezahlen. Und sollte VW nach dieser Affäre evtl. Arbeitsplätze abbauen müssen, dann sind es natürlich wieder die Arbeitnehmer in der Produktion und nicht die best-versorgten Typen in der Teppichebene.
Mein trauriges Resume also: es hat sich gegenüber 2015 also eigentlich nichts Wesentliches zum Guten verändert, warum sollte ich die vielen Fehlentwicklungen in 2016 noch einmal aufzählen – sie verhageln uns doch nur die Stimmung, oder? Eine positive Konstante jedoch gibt es in meinem Rückblick: und das ist die SBI in Gau-Algesheim. Das stimmt mich wieder optimisti-scher und auch gelassener.
Nun will ich aber das vergangene Jahr 2016 doch nicht so ganz kommentarlos verlassen, denn es hat sich tatsächlich einiges an Neuem und zudem Bedrohlichem entwickelt, das sich über das Jahr 2017 hinaus noch auswirken wird und damit evtl. gar unsere gewohnte Weltordnung nachhaltig verändert. Das ist zumindest zu befürchten.
Ein möglicherweise nur von der türkischen Regierung selbst inszenierter Putsch des Militärs wurde zum Anlass genommen, um in einer akribisch vorbereiteten und dabei brutal vollzogenen Verfolgung von Journalisten, Soldaten, Richtern und Lehrern einen personellen Kahlschlag in der türkischen Gesellschaft zu inszenieren. Die zentrale Figur bei dieser nazi-ähnlichen Vorgehensweise ist der Emporkömmling Erdogan, der sich zur Zeit in einem Erfolgsrausch befindet, erstaunlicherweise von einem Großteil der türkischen Bevölkerung auch mitgetragen. Es heißt wohl schon, dass der türki-schen Nation alsbald die Leistungsträger ausgehen könnten, da ja ein Großteil derer entweder entlassen oder gar ins Gefängnis gesteckt wurde. Doch Erdogan in seinem Wahn, stört diese folgenschwere sich anbahnende Veränderung nicht, die er unnötigerweise ausgelöst hat, die sich wohl aber auch mal gegen ihn richten könnte – und auch muss!
Und wenn wir über Erdogan sprechen, müssen wir auch über Europa sprechen. Außenminister Steinmeier, bald unser neuer Bundespräsident, hat sich im Dezember 2016 sehr besorgt über die Lage in Europa geäußert: Europa sei zweifellos in unruhiges Fahrwasser geraten und müsse sich alsbald wieder neu aufstellen. Als wichtigste Aufgabenfelder nannte er den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen, aber ebenso die innere und äußere Sicherheit, wie auch das Thema Arbeit und Wirtschaft. Und – so Steinmeier – wo die Jugend-Arbeitslosigkeit gar bei 50 % und mehr liegt, kann wohl keine Begeisterung für Europa aufkommen. Dem kann man nur zustimmen. Und bleiben wir noch einen Moment bei Europa: der Zuwachs an Zustimmung für rechtsorientierte Parteien wie AfD in unserem Land oder Figuren wie Wilders in Holland und Le Pen in Frankreich haben auch eine soziale Ursache, die offensichtlich nicht gründlich genug angegangen worden ist. Wir verharren in Europa immer noch im Zustand einer EWG, also einer Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft, und weniger in der mit einem sehr hohen Kostenaufwand am Leben gehaltenen Staatengemeinschaft, Europäi-sche Union genannt, die de facto leider immer noch eher Wirtschaft und gemeinsamen Markt im Blickfeld hat und weniger die Sozial- und Finanzstruktur in den Mitgliedsländern. Europa kann nur dann stark sein, wenn auch die sozialen Belange der in der EU vereinigten Völker ausreichend gut berücksichtigt werden. Meine Hoffnung ist, dass nun im Umfeld der politischen Welt wir erkennen, dass nur dieser auch soziale Zusammenhalt die EU am Leben erhält. Und sollte die ungarische oder auch polnische Regierung mit ihren Potentaten Orban und Kasczinski meinen, die EU wäre für sie unzureichend, dann sollte man ihnen auch die Tür für einen Austritt öffnen. England hat es ja bereits mit einem Referendum geschafft, aus der EU austreten zu können – und wir können nun in aller Ruhe die sich daraus ergebenden Probleme für das United Kingdom beobachten. Und ich empfinde dabei keine Schadenfreude, im Gegenteil, eher Betrübnis. Denn: Die Gründung der europäischen Union nach dem 2. Weltkrieg – es sind ja nun schon nahezu 70 Jahre her – bedeutet für die Europäer nicht nur Frieden, was für sich schon sehr viel wert ist, sondern auch Prosperität und zunehmende Völkerverständigung. Man denke nur an die vielen Städte-Partnerschaften. Bei aller Kritik an der derzeitigen EU, nimmt man die Vergangenheit Europas ins Kalkül, dann ist die heutige EU für uns Europäer unverzichtbar geworden.
Angesichts der unverständlichen Inthronisation eines politisch unbedarften und äußerst narzisstisch gearteten Immobilien-Händlers zum neuen Präsidenten der USA kann keinem von uns wohl sein. Auch wenn die USA weit weg sind von Europa, sie sind eine essentiell so wichtige Nation sowohl im wirtschaftlichen als auch militärischen Bezug. Und denken wir Älteren noch einmal zurück an unsere Kindheit, da kommt uns der Eindruck von einer eher gütigen und an Frieden orientierten Nation der USA in Erinnerung. Und: ohne die USA wäre die moralische Reinigung unseres Landes nie so kon-sequent vollzogen worden. Die deutsche Gesetzgebung aus dieser Zeit, unter Aufsicht der Alliierten entstanden, hat uns zu einem friedfertigen und kalkulierbaren Volk der Deutschen gemacht, von dem nie wieder Krieg ausgehen soll. Unter Trump heißt es nun aber nur noch » America first » . Mehr fällt ihm wohl noch nicht ein. Er hat nicht verstanden, wie ein freier Handel innerhalb der Globalisierung auch den Frieden sicherer macht. Wir müssen uns wappnen gegen die Entgleisungen der USA, die unter Trump nun ein neues Gesicht zeigen. Eine Hoffnung bleibt uns: vielleicht wird gerade unter dem Druck dieser globalen politischen Veränderung die Vereinigung der EU endgültig und nachhaltig vollzogen. Europa kann ein Bollwerk sein. Dies wäre uns Europäern zu wünschen und deshalb ist es auch jede Anstrengung hierfür wert.
Die Wortmeldungen zu seinem Vortrag machten deutlich, dass allen Anwesenden Joachim Raczek aus dem Herzen gesprochen hat. Insofern zeigte sich an diesem Abend das besondere politische und soziale Bewusstsein der SBi-Mitglieder.